A Game of Thrones – Das offizielle Kochbuch

Aus: Chelsea Monroe-Cassel, Sariann Lehrer, A Game of Thrones – Das offizielle Kochbuch, Zauberfeder  2013, S. 6-8.

Tretet näher. Nein, noch näher. Ich muss euch etwas gestehen, es ist beschämend und ich möchte nicht, dass jeder es hört. Noch einen Schritt, ja … beugt euch zu mir und ich werde euch die bittere Wahrheit ins Ohr flüstern:
Ich kann nicht kochen.
Nun ist es heraus, mein dunkles Geheimnis. All die Seiten in meinen Büchern und Geschichten, die ich über Jahre hinweg dem Essen gewidmet habe, all die liebevoll ausgeschmückten Beschreibungen der einfachsten und exotischsten Gerichte, all jene erdachten Festmahle, die euch das Wasser im Munde zusammenlaufen ließen … Ich habe niemals auch nur eines davon tatsächlich zubereitet. Sie sind nur aus Wörtern gemacht. Aus großen, fleischigen Substantiven und knusprig frischen Verben, gut gewürzt mit Adjektiven und Adverbien. Wörter. Der Stoff, aus dem Träume gemacht werden … äußerst schmackhafte Träume, fettarm und kalorienfrei, aber auch ohne jeden Nährwert.
Schreiben kann ich gut. Kochen nicht so besonders.
Na gut, der Vollständigkeit halber muss ich zugeben, dass ich ein ganz anständiges Frühstück hinbekomme, solange „Frühstück hinbekommen“ bedeutet, ein paar dicke Scheiben Speck zu braten und einen Mischmasch aus Eiern, Zwiebeln, Käse und ausreichend italienischen Kräutern zusammenzurühren. Aber wenn ich Pfannkuchen oder Eier Benedikt oder (das Beste von allem) einen Frühstücksburrito mit viel grünem Chili möchte, dann steuere ich mein Lieblingscafé an (das Tecolote Café in Santa Fe, New Mexico, für alle, die es ganz genau wissen wollen). Wie jeder waschechte männliche Amerikaner, schütte ich im Sommer schon mal einen Haufen Holzkohle auf, tränke ihn mit Grillanzünder und brate Steaks, Würstchen und Burger über der Glut. Im Haus … na ja, ich kann Maiskolben kochen und Gemüse dünsten (wenn ich muss) und mein mit Käse gefüllter Hackbraten ist ganz passabel, aber das war’s dann auch schon. Dieser Hackbraten ist der absolute Höhepunkt meiner kulinarischen Leistungen. Wenn meine Frau ein Steak brät, ist es innen rosa und außen dunkel und kross. Wenn ich das gleiche Steak in genau derselben Pfanne brate, ist es innen und außen blassgrau.
Glücklicherweise kann ich aber sehr viel besser essen als kochen (was, wie ich leider sagen muss, jeder bei einem flüchtigen Blick auf meine Taille erkennen kann). Essen ist eine der größten Freuden des Lebens und ich bin ein großer Verfechter jeder Form des Genusses. Auch das Lesen gehört zu den Dingen, die das Leben lebenswert machen, und wenn man Lesen und Essen verbinden kann, nun ja …
Genau deshalb sind so viele Seiten meiner Romane dem Essen gewidmet – was nicht erst mit Das Lied von Eis und Feuer seinen Anfang genommen hat, wie ich anmerken möchte. Ich erinnere mich noch daran, wie ich gut zehn Jahre bevor ich begann, Die Herren von Winterfell zu schreiben, an einer britischen Version des berühmten Milford-Writers‘-Workshop teilgenommen und eine Kurzgeschichte eingereicht habe. Einer der anderen Schriftsteller hat sie einen „Schlemmerporno“ genannt. Allerdings war der Kerl waschechter Brite aus dem Land des zerkochten Fleischs und der breiigen Erbsen. Ich habe ja immer schon vermutet, dass all jene Engländer, die einst in die Welt hinaus gesegelt sind und das Britische Reich begründet haben, eigentlich nur auf der Suche nach etwas Gutem zu essen waren.
Es stimmt, dass ich in meinen Büchern viele, viele Wörter verbrauche, um die Mahlzeiten meine Charaktere zu beschreiben. Mehr als die meisten Autoren, schätze ich. Was mir wiederholt den Unmut all jener Leser und Kritiker eingebracht hat, die ein zügiges Erzähltempo bevorzugen. „Brauchen wir denn wirklich so viele detaillierte Beschreibungen von Essen?“, fragen diese Kritiker. „Wen interessiert es, wie viele Gänge serviert wurden, ob die Kapaune schön knusprig waren und in welcher Soße das Wildschwein gekocht wurde?“ Ob es nun um ein Hochzeitsmenü mit siebenundsiebzig Gängen geht oder um ein paar Gesetzlose, die sich gepökeltes Rindfleisch und ein paar Äpfel am Lagerfeuer teilen: Wenn es den Plot nicht vorantreibt, interessiert es solche Kritiker nicht.
Wetten, dass sie beim Tippen Fast Food futtern?
Ich habe zu diesem Punkt eine ganz andere Meinung. Ich schreibe, weil ich eine Geschichte erzählen will. Und eine Geschichte zu erzählen ist nicht das Gleiche, wie den Plot voranzutreiben. Wenn es dabei einzig und allein um den Plot ginge, müssten wir überhaupt keine Romane mehr lesen. Eine kurze Zusammenfassung würde völlig ausreichen. Verpassen würde man so nur … na ja, einfach alles.
Was für mich zählt, ist die Reise und nicht, wie schnell man am Ziel ist. Wenn ich lese und wenn ich reise, möchte ich die Aussicht genießen, den Duft der Blumen riechen und … ja … das Essen schmecken. Als Schriftsteller möchte ich eine eindrucksvolle Welt für meine Leser erschaffen, in die sie sich hineinversetzen können. Ich möchte, dass jeder, der meine Romane gelesen hat, sie so in Erinnerung behält, als hätte er alles wirklich erlebt. Und die sinnliche Wahrnehmung ist dabei das Allerwichtigste.
Gesehenes, Gehörtes, Gerochenes – diese Dinge erwecken eine Szene zum Leben. Ob Schlachten, Schlafzimmer oder Schlemmerorgien, ganz egal, es gelten die gleichen Regeln. Das ist der Grund dafür, dass ich so viel Zeit darauf verwende, die Speisen meiner Charaktere zu beschreiben: Was ist es, wie wurde es zubereitet, wie sieht es aus, wie riecht es, wie schmeckt es? All dies erdet die Szenen, gibt ihnen Farbe, macht sie lebendig, nachfühlbar und eindrucksvoll. Sinneseindrücke erreichen uns auf einer weit tieferen und unmittelbareren Ebene, als es intellektuelle Abhandlungen es jemals könnten.
Und meine Beschreibungen der Speisen leisten noch viel mehr. Das Erschaffen neuer Welten ist ein Teil dessen, was dem Fantasieroman seinen Reiz verleiht, und dazu gehört nun einmal auch das Essen. Man kann viel über eine Welt und ihre Kulturen lernen, wenn man sich anschaut, was dort gegessen wird (und was nicht). Alles, was man wirklich über Hobbits wissen muss, erfährt man, wenn man von „knusprig gebratenem Speck“ und dem „zweiten Frühstück“ ließt. Und was die Orks angeht … tja, vermutlich wird es sobald noch kein Ork-Kochbuch geben.
Das Gleiche gilt für einzelne Individuen und ganze Gesellschaftsschichten. In meinen nicht ganz so überflüssigen Essensszenen spielt sich eine ganze Menge ab. Ach ja, und manchmal wird darin auch der Plot vorangetrieben.
Das ist allerdings nur Beilage. Die Hauptsache, der eigentliche Grund, warum ich solche Szenen in meine Romane einbaue, sind die Szenen selbst. Ich schreibe gerne über Essen, und meine Leser – zumindest die meisten von ihnen – scheinen auch gerne davon zu lesen. Der großen Anzahl von Lesern nach zu urteilen, die mir immer wieder schreiben, dass ihnen beim Lesen meiner Essenszenen der Magen knurrt, muss ich da wohl irgendetwas richtig machen.
Ganz im Gegensatz zu meiner Welt auf Westeros oder zum echten Mittelalter, ist das einundzwanzigste Jahrhundert ein goldenes Zeitalter, jedenfalls in Bezug auf das Essen. Wir leben in einer Zeit des Überflusses, in der jegliche Speisen zu jeder Jahreszeit verfügbar sind, und in der sogar die exotischsten Gewürze im Supermarkt um die Ecke gekauft werden können, ohne dass jemand dafür gleich seine Burg verpfänden müsste. Und was sogar noch besser ist: Für jene von uns, die sich nicht auf die Nahrungszubereitung verstehen, gibt es in unserer wunderbaren Welt sogar Menschen, die für uns kochen.
Und genau da kommen Sariann und Chelsea ins Spiel.
Heute kann ich beim besten Willen nicht mehr sagen, wer als Erster auf die Idee gekommen ist, ein Kochbuch zu veröffentlichen, in dem alle Gerichte meiner Romane beschrieben werden. Den ersten Vorschlag dieser Art muss ich kurz nach der Veröffentlichung von Die Herren von Winterfell im Jahr 1996 bekommen haben. In all den Jahren, die seitdem vergangen, kamen noch Duzende von Lesern auf dieselbe Idee. Die meisten haben das sicherlich scherzhaft gemeint: „Du schreibst doch so viel über Essen, du solltest ein Kochbuch daraus machen, ha ha.“ Und sogar jene, die es ernst gemeint haben, gingen fälschlicherweise davon aus, dass ich ein Kochbuch schreiben sollte. In Anbetracht meiner kulinarischen Fähigkeiten hätte ich aber genauso gut ein Handbuch zur Autoreparatur oder einen Ratgeber für maschinelle Programmierung schreiben können.
Bei Sariann und Chelsea war das eine andere Sache. Die beiden haben mir nicht einfach nur geschrieben und angemerkt, dass ein Kochbuch doch eine gute Idee wäre, nein. Sie haben tatsächlich begonnen, einige der Gerichte aus Das Lied von Eis und Feuer nachzukochen, Rezepte aus im Zerfall begriffenen Büchern über die mittelalterliche Küche herauszukramen und jedes davon in eine zeitgenössische Version umzuwandeln, die man in einer modernen Küche und mit Zutaten des einundzwanzigsten Jahrhunderts nachkochen kann.
Ihren Blog haben sie Inn at the Crossroads genannt, nach dem Gasthaus am Kreuzweg aus den Romanen, in dem sich diverse grausige Dinge ereignen. Unter anderem wird die Wirtin erhängt und ihre Leiche im Freien aufgeknüpft, wo sie sich sacht im Wind wiegt. Ein Schicksal, von dem ich inständig hoffe, dass es Sariann und Chelsea erspart bleibt. Die Gerichte der beiden sind nämlich viel, viel besser als das, was im echten Inn serviert wurde.
Woher ich das weiß? Habe ich denn einige dieser Gerichte in mittelalterlicher oder moderner Form nachgekocht? Tja, nein. Ich hab’s euch doch gesagt: Ich kann nicht kochen. Aber ich habe viele dieser Gerichte gegessen und darauf kommt es schließlich an. Als Ein Tanz mit Drachen im Juli 2011 erschien, begann ich meine Lesereise in Boston und da tauchten Sariann und Chelsea höchstpersönlich mit einem Korb voller Zitronenkuchen, Fleischpasteten und anderer Köstlichkeiten auf, die mich während des Signierens über Wasser hielten. Im Laufe meiner Reise von Küste zu Küste erschienen in sämtlichen Städten Verbündete und Leser ihres Blogs mit Körben voller Leckereien, und jeder Korb war noch toller als der vorherige. Und in jedem Korb gab es Zitronenkuchen. Sansa wäre hin und weg gewesen.
Jetzt, da ich wieder zuhause bin und an meinem nächsten Buch arbeite, gibt es leider Gottes keine Körbe mehr. Aber es gibt Hoffnung, denn jetzt haben wir dieses Kochbuch, damit ihr all eure Lieblingsgerichte aus den Sieben Königslanden und den exotischeren Ländern jenseits ihrer Grenzen nachkochen könnt. Das gilt jedenfalls für diejenigen unter euch, die kochen können. Und, zum Teufel, vielleicht versuche ich es ja selbst einmal mit ein paar dieser Gerichte, vorausgesetzt ich bekomme irgendwo gute Drachenpfefferschoten her.
Greift zu, meine Freunde. Der Winter naht.

George R. R. Martin
Santa Fe
21. Januar 2012

http://www.zauberfeder-verlag.de/